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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 10.10.2019:

„Wir wollten ein digitales, offenes Konzept mit urheberrechtsfreien Materialien erstellen, das man ergänzen und erweitern kann.“

Freies Schulbuch für den Informatikunterricht
Das Bild zum Artikel
Bildrechte: Heiko Jochum

Das Informatik-Schulbuch inf-schule.de ist bereits im Jahr 2008 als elektronisches lizenzfreies Buch erschienen und deckt inhaltlich den kompletten Informatikunterricht in Rheinland-Pfalz ab. Die Online-Redaktion von „Bildung + Innovation“ sprach mit Heiko Jochum, Redakteur und Mitbegründer von inf-schule.de, über die Inhalte des Buches und die Vorteile freier Bildungsmaterialien.


Online-Redaktion: Wie kamen Sie darauf, im Jahr 2008, als „Open Educational Resources“ (OER) in Deutschland noch kaum bekannt waren, das elektronische Informatik-Schulbuch inf-schule.de herauszugeben?

Jochum: Die Idee dazu entstand im Rahmen einer Lehrplanarbeit zum Leistungsfach Informatik. Die damalige Lehrplankommission, der ich angehörte, hatte für das Leistungsfach Informatik und in der Folge auch für Informatik als Wahlfach bzw. Wahlpflichtfach für die Klassenstufen 9 und 10 einen neuen Lehrplan für Rheinland-Pfalz erstellt. Dazu gehörte es auch, Handreichungen zu erarbeiten. Uns war zu dem damaligen Zeitpunkt schon klar, dass das in gedruckter Form nicht mehr zeitgemäß ist. Wir wollten - ohne dass wir zum damaligen Zeitpunkt den Begriff OER kannten - ein digitales, offenes Konzept mit urheberrechtsfreien Materialien erstellen, das man ergänzen und erweitern kann, und an dem auch Autoren außerhalb der Lehrplankommission mitwirken können. Ein Mitglied der Lehrplankommission war Dr. Klaus Becker, er war und ist Hauptdozent der Weiterbildungslehrgänge beim Pädagogischen Landesinstitut Rheinland-Pfalz für das Fach Informatik und begann 2008 seine Materialien auf HTML-Form umzustellen. Dies griffen wir für die Handreichungen auf, die ab 2008 zur Grundlage für das Schulbuch http://inf-schule.de/ wurden.

Online-Redaktion: War inf-schule.de damit das erste freie Schulbuch?

Jochum: Ich behaupte mal, dass wir das Online-Schulbuch sind, das als erstes vollständig auf dem Markt war, ohne dass wir damit Geld verdienen. Ich glaube auch, dass das nur funktioniert, wenn man Autorinnen und Autoren findet, die mit Herzblut dabei sind und bereit sind, Freizeit zu investieren und dafür auch kein Geld nehmen. Ich schätze, dass andere Projekte, die damit Geld verdienen wollen, irgendwann scheitern, weil deren Zugänglichkeit deutlich reduziert ist.

Online-Redaktion: Was hat inf-schule.de mit einem Schulbuch gemeinsam und was unterscheidet es von ihm?

Jochum: inf-schule ist, genau wie ein Schulbuch, nicht einfach nur eine Sammlung von Lehr- und Lernmaterialien, sondern hat eine durchgehende didaktische Struktur. Auch hält es, wie ein Schulbuch, vielfältige Materialien zum Lernen und Lehren nach einem modernen Konzept bereit, kompetenzorientiert und den Bildungsstandards entsprechend. Aber der Unterschied ist sicherlich, dass eine digitale Darstellung die Einbindung multimedialer Inhalte und interaktiver Lernumgebungen ermöglicht und Korrekturen zulässt. Bei inf-schule.de gibt es auch ein Rückmeldeformular, über das man mit den Leserinnen und Lesern kommunizieren kann. Das Material ist frei verfügbar, steht unter einer CC BY-SA Lizenz und umfasst ca. 3000 Seiten. Der große Umfang wäre natürlich in einem Schulbuch nicht druckbar, auf der anderen Seite kann dadurch der rote Faden für ungeübte Nutzer eventuell nicht so leicht erkennbar sein.

Online-Redaktion:
Worin liegt der Vorteil für Sie, das Buch im lizenzfreien Online-Format erstellt zu haben?

Jochum: Dadurch, dass wir mit Informatik ein wandelbares Schulfach haben, brauchen wir auch ein wandelbares Schulbuch. Es gibt immer wieder neue Inhalte und Ergänzungen. Durch das digitale Format haben wir die Möglichkeit, den gleichen Inhalt verschieden aufbereiten zu können, zum Beispiel mit alternativen Programmiersprachen, alternativer Strukturierung, verschiedenen Werkzeugen, Kontexten oder Differenzierungen. Und, was uns wichtig ist, es ist jederzeit offen für neue Mitautoren und bietet Möglichkeiten zur Kollaboration.

Online-Redaktion: Wie arbeiten die Autoren zusammen?

Jochum: Wir haben einen festen Kern von ca. 20 Personen, der sich zweimal im Jahr trifft, um grundsätzliche Fragen und Weichenstellungen zu besprechen. Die über 70 Autorinnen und Autoren, die zum erweiterten Redaktionskreis gehören, arbeiten in der Regel von zuhause – in ihrer Freizeit oder in ihrer Funktion als Lehrkraft. Denn statt ein Arbeitsblatt für ihren Unterricht zu erstellen, können sie auch neue Aufgaben oder Seiten zu inf-schule.de hinzufügen. Die Pflege der einzelnen Kapitel haben wir auf verschiedene Autoren aufgeteilt, d.h. sie sind beispielsweise zuständig für die Rückmeldungen, die in diesem Kapitel anfallen.

Die Zusammenarbeit erfolgt durch eine Versionierungssoftware, zurzeit benutzen wir Subversion – jeder Autor hat einen eigenen Zugang und kann auf alle Dateien des Schulbuchs zugreifen und sie ändern. Damit unsere Nutzer durch Änderungen, die wir vornehmen, nicht den Überblick verlieren, und um zu vermeiden, dass sie Seiten oder Kapitel nicht mehr wiederfinden, haben wir zu jedem Schuljahr eine archivierte Version eingerichtet, die wir unter http://schuljahr.inf-schule.de/ zur Verfügung stellen und bei der sich nichts mehr ändert. Änderungen werden nur in der laufenden Version vorgenommen.

Online-Redaktion: Welche Inhalte bietet das elektronische Schulbuch an?

Jochum: Es orientiert sich grundsätzlich an den Bildungsstandards für Informatik und an den Lehrplänen in Rheinland-Pfalz, aber prinzipiell sind wir auch für andere Inhalte offen. So gibt es beispielsweise auch Abschnitte zu Robotern, zu Calliope, zu Raspberry, zu Compiler und Interpreter oder zu Künstlicher Intelligenz (KI), die so explizit nicht in den rheinland-pfälzischen Lehrplänen vorkommen.

Da an einigen so genannten Informatikprofilschulen in Rheinland-Pfalz Informatik ab Klassenstufe 5 ab nächstem Schuljahr durchgehend unterrichtet werden soll, haben wir für diese neue Zielgruppe die Unterseite inf-schule.de/kids eingerichtet und für diese sehr jungen Nutzer ein neues Format gewählt, das keinen Lehrbuchcharakter hat. Hier können sich die Schülerinnen und Schüler durch Reihen klicken und werden von der Problemstellung bis zur Lösung an die Hand genommen. Es ist also etwas kindgerechter und weniger wissenschaftlich.

Online-Redaktion: Wie wird das Online-Buch von den Lehrkräften und Schüler/inne/n angenommen?

Jochum: Es wird in Rheinland-Pfalz in der Breite eingesetzt und findet auch außerhalb unseres Bundeslandes bis ins Ausland Anwendung. Es gibt eine Informationsseite, auf der wir geolokalisiert haben, woher unsere Zugriffe kommen. Von den 100.000 Zugriffen, die wir etwa pro Woche haben, kommen viele auch aus Österreich, Luxemburg und der Schweiz. Im Jahr 2015/16 haben wir außerdem mit Unterstützung der Universität Siegen eine wissenschaftliche Untersuchung durchgeführt. Es gab eine Online-Umfrage zur Verwendung und Akzeptanz bei den Schülerinnen und Schülern. Die Ergebnisse haben wir auf der InfoS-Tagung der Gesellschaft für Informatik vor zwei Jahren in Oldenburg vorgestellt und sie auch veröffentlicht. Dabei wurde festgestellt, dass unser Schulbuch einen wesentlichen Beitrag zur informatischen Bildung leisten kann, indem es auf unterschiedliche Art die vielfältigen Inhalte der Informatik zur Vermittlung niederschwellig bereitstellt.

Online-Redaktion: Sind Sie mit anderen Anbietern freier Lehr- und Lernmaterialien vernetzt?

Jochum: Wir Autoren besuchen nur ab und zu Veranstaltungen zu freien Bildungsmaterialien, auf einer dieser Tagungen ist auch die Kooperation mit der Universität Siegen entstanden. Aber das Pädagogische Landesinstitut Rheinland-Pfalz, bei dem wir im MINT-Referat beheimatet sind und das die institutionelle Verantwortung für das Online-Buch trägt, ist sehr engagiert im Bereich der freien Lehr- und Lernmaterialien und hat viele Kooperationen. Über das Institut bekommen wir auch Anregungen oder die Möglichkeit, das Informatikbuch woanders vorzustellen.

Online-Redaktion: Gibt es etwas, dass Sie bei Ihrem Informatik-Schulbuch gerne noch ergänzen möchten?

Jochum: Wir beabsichtigen, bei inf-schule.de/kids die Klickstrecken auszubauen, also mehr Schritt-für-Schritt-Anleitungen oder andere Zugänge zu entwickeln, die zu dem Lehrplan nach Klassenstufe 5 passen. Und natürlich versuchen wir immer wieder aktuelle Entwicklungen aufzugreifen und sie nach einer Erprobungsphase als Materialien umzusetzen und auf inf-schule.de abzubilden, so wie zum Beispiel die Themen Bitcoin und Blockchain. Wir wollen nicht beim Status quo stehen bleiben. Im Moment ist KI ein großes Thema. Wir fragen uns, ob und auf welchem Niveau das Thema im Unterricht einsetzbar wäre. Man muss in der Informatik immer wieder neu beobachten, wohin die Reise geht.


Heiko Jochum, Lehrer für Informatik und Mathematik am Werner-Heisenberg-Gymnasium Bad Dürkheim, Regionaler Fachberater für Informatik in Rheinland-Pfalz. Abitur am Burggymnasium in Kaiserslautern, Studium für das Lehramt der Sekundarstufen I/II in den Fächern Informatik und Mathematik an der Universität-GH Paderborn, Referendariat am Studienseminar für die Sekundarstufe II, Hamm (Westf.).


Autor(in): Petra Schraml
Kontakt zur Redaktion
Datum: 10.10.2019
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