Bislang ein Kommentar zum Artikel „Wir wollen alle Kitas erreichen“
Salman Ansari : Wozu Kind als Forscher?. 26.10.2009
Dr. Salman Ansari Was heißt Kind als Forscher? Jedem Forschen geht eine Fragestellung voraus oder die Bewusstwerdung eines Sachverhalts, der einem rätselhaft erscheint und das Bedürfnis erweckt, erforschend das Geheimnis zu enträtseln und somit neue Zusammenhänge zu entdecken. In vielen Orten in Deutschland haben die Wissenschaftler die Kinder als potenzielle Forscher ausgemacht, und versuchen nun mit großem Aufwand, den Kindern mit Hilfe von Experimenten, den Nachvollzug von vielen großen Entdeckungen der Menschheit „spielerisch“ zu ermöglichen. Ist dies im Kontext der kindlichen Wahrnehmungsmöglichkeit überhaupt möglich? In der Geschichte der naturwissenschaftlichen Forschung war nicht das Experiment, sondern die Faszination über Naturphänomene die Voraussetzung für eine Fragestellung an die Natur. Es wird übersehen, dass erst im Vollzug des Forschens die Idee der Überprüfbarkeit einer Hypothese durch ein Experiment überhaupt in Betracht gezogen wurde. Selbst dann haben die Forscher die Ergebnisse ihres Experiments oft nicht richtig interpretieren können. Denn jede Interpretation ist naturgemäß von dem jeweiligen Wissensstand des Forschers abhängig. Dies gilt auch für Kinder. Darüber hinaus sind Experimente prinzipiell Reduktionen und Manipulation der Wirklichkeit. Denn jedes Experiment setzt Technik, Methode und Kontrolle voraus.Kinder nehmen jedoch die Welt ganzheitlich wahr und können daher die Natur nicht als eine Zusammensetzung von zusammenhangslosen Physikalischen, Chemischen und Biologischen „Wundern“ verstehen oder wahrnehmen. Zur Erforschung zahlreiche Fragen steht stets das Experiment im Mittelpunkt. Es wird behauptet, dass dann die Kinder spielerisch kausaler Zusammenhänge erkennen lernen. Dabei handelt es sich um Phänomene, für deren Beantwortung die Menschheit im Kontext von Ursache und Wirkung Hunderte von Jahren gebraucht hat. Angenommen im „Haus der kleinen Forscher“ agieren geniale Kinder, die Phänomene wie Elektrizität experimentell erfassen können. Dann bleibt doch die Frage, was können diese Kinder mit diesem Wissen anfangen, um neue Zusammenhänge zu entdecken; also ihr erworbenes Wissen nutzen können, um sich die Welt anzueignen. Besteht das Lernen aus desperaten Aktivitäten? Ist das Lernen nicht vielmehr in einen Entwicklungsprozess integriert? Jedem Lernen wohnt ein Gestalten, ein Erfinden und eine Entwicklung inne. Gehört das Verstehen von naturwissenschaftlichen Zusammenhängen einer anderen, einzigartigen Lernkategorie an? Im „Haus der kleinen Forscher“ sollen Kinder mithilfe der statischen Elektrizität Salzkörner von Pfeffer trennen. Dieses Experiment ist exemplarisch für viele, die im Rahmen dieser Einrichtung angeboten werden. Exemplarisch, weil für das Begreifen der Phänomene, die bei diesem Experiment wirksam sind, auf die Kenntnis von einer ganzen Reihe von Begriffen und Gesetzmäßigkeiten nicht verzichtet werden kann. Diesen Gesichtspunkt möchte ich näher erläutern. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass es Kindern und Erwachsenen schwierig fällt, Konzepte in diesem Feld zu verstehen. Daher werden Begriffe wie Ladung, Strom, Spannung, Energie selbst von Oberstufenschülern als Synonyme erachtet. Beim Phänomen der statischen Elektrizität wird die Reibung als ursächlich verantwortlich für das Entstehen der Ladungen erachtet. Mithin kann man sich statische Elektrizität nicht ohne ein hinreichendes Atommodell verständlich machen. Selbst wenn man von einem einfachen Atommodell (Masse bestehend aus negativen und positiven Teilchen) ausgeht, bleibt unklar, weshalb nur die Elektronen von einem Körper zum anderen übertragen werden können und warum die statische Elektrizität nicht lang angehalten werden kann; also weshalb die geladenen Gegenstände sich von selbst entladen. Ferner, warum diese Phänomen beim trockenen Wetter besser zu studieren sind. Ebenso fällt es Schülern schwer, warum ein Gegenstand sich positiv bzw. negativ geladen definiert wird. Elektrizität ist bewegter Ladung, während statische Elektrizität allein durch die Aufhebung der Neutralität eines Gegenstandes erzeugt werden kann. Dieser Trennungsvorgang von Ladungen wird durch die innige Reibung von Gegenständen erreicht, dabei muss man Gegenstände wählen, die selber nicht leiten. All dies ist ohne das Verstehen eines Atommodells nicht erfassbar. In diesem Kontext muss sich fragen, ob die Vorgänge des Wissenserwerbs als unterhaltsame Spielereien gestaltet werde können? Erkenntnisse der kognitiven Wissenschaften, der Entwicklungspsychologie, der Hirnforschung und Kybernetik gehen davon aus, dass die Aneignung von nachhaltigem Wissen und der Erwerb von übertragbaren Kompetenzen durch eine Selbstorganisation von Lernprozessen erreicht werden. Wissen kann demnach nicht übertragen werden. Jedes Individuum muss das Wissen selber konstruieren. Kinder sind Wissende, die bereits beim Eintritt in den Kindergärten über individuelle Vorstellungen und Lernstrategien verfügen. Daher sollten sie die Möglichkeit erhalten, das Verstehen von neuen Zusammenhängen und die Veränderung des ursprünglichen Wirklichkeitsbildes selbständig zu erreichen. Dass Kinder gerne experimentieren, besagt zunächst nur, dass sie alles begeistert mitzumachen. Auch jeden Unsinn. Gerne etwas tun oder begeistert von etwas zu sein, ist allein jedoch im Kontext des Erwerbs von übertragbaren Kompetenzen ein untaugliches Kriterium. Hier sind Menschen bemüht, Kindern Antworten auf Fragen zu geben, die sie niemals gestellt hätten. Solch eine Didaktik ist vermutlich geeignet, dass Kinder später die Naturwissenschaften als langweilig empfinden. Denn in der Schule haben die naturwissenschaftlichen Fächer nicht einen Hokuspokus Charakter. Literaturhinweis .http://bildungsklick.de:80/a/57964/eine-person-mit-namen-unterdruck/ Handbook of Research on Science Education/Edited by Sanda K. Abell and Norman G. Ledermann (2007). Lawrence Erlbaum Associates, Publischers. Gelman, R. ( 1980) : “ Cognitive Development “. In: Annual Review of Psychology 29, S. 297-332. .Inhalder. B./ Piaget. J. (1958) : “The Growth of Logical Thinking from Childhood to Adolescence” : New York. Siegler. R. S.(1988) “Childerns Thinking”. Prentice Hall, New Jersey. Ansari, S. (2003). Kinderfragen. Prosa-Reihe, Heft Nr.1. Leibnitz-Institut for Science Education (IPN), University Kiel. Vygotsky, L: „Das Spiel und seine Bedeutung in der psychischen Entwicklung des Kindes“. In: Daniel. Elkonin: Psychologie des Spiels. Köln 1980. S. 441-465. Wagenschein, M. ursprüngliches Verstehen und exaktes Denken, 2Bde; Stuttgart (1970)
Ihr Kommentar zum Artikel „Wir wollen alle Kitas erreichen“
Pflichtfelder sind mit einem * gekennzeichnet.
