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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 21.12.2017:

„Wir wollen ein globales Problem lösen.“

Kiron Open Higher Education
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Vincent Zimmer
Bildrechte: Vincent Zimmer

Vincent Zimmer und Markus Kreßler gründeten vor zwei Jahren Kiron Open Higher Education, eine Online-Plattform, die Flüchtlingen ermöglicht, ein Studium aufzunehmen, und die von rund 70 Festangestellten und zwischen 100 und 200 Ehrenamtlichen getragen wird. Die Online-Redaktion von „Bildung + Innovation“ sprach mit Vincent Zimmer darüber, was und wie man bei Kiron studieren kann und wie er sich Kiron in Zukunft vorstellt.


Online-Redaktion: Was genau ist Kiron Open Higher Education?

Zimmer: Kiron ist eine Online-Plattform, die digitale Bildungsangebote in Form von Online-Kursen zu einem Curriculum zusammenfasst und Geflüchteten darüber ermöglicht, ein Studium (wieder) aufzunehmen, das ihnen durch ihre Flucht verwehrt ist.

Online-Redaktion: Was bedeutet der Name Kiron?

Zimmer:
Kiron ist angelehnt an Cheiron und kommt aus dem Altgriechischen. Er galt als einer der weisesten und gerechtesten Centauren, der sich vom Krieg abwandte, um seine Schutzbefohlenen zu unterstützen. Das Sinnbild passt sehr gut zu unserem Projekt und ist in vielen Sprachen gut aussprechbar.

Online-Redaktion:
Wie kamen Sie darauf, Kiron zu gründen?

Zimmer: Viele Mitarbeiter von Kiron haben in der Familie oder im Freundeskreis einen Bezug zum Thema Flucht und Vertreibung. Bei mir ist es der Großvater, der als Flüchtling nach Deutschland kam, mein Mitbegründer Markus Kreßler hat lange mit Flüchtlingen zusammengewohnt und viel in der psychosozialen Beratung gearbeitet. Konzeptionell bin ich zu dem Thema gekommen, weil ich vorher schon verschiedene Startups gegründet habe ‒ unter anderem im Bildungsbereich ‒ und selbst sehr viel im Ausland studiert habe. Ich habe vier, fünf verschiedene Bildungssysteme kennengelernt, und da kam mir die Idee, einerseits das Beste aus diesen verschiedenen Bildungssystemen zusammenführen und andererseits Angebote zu schaffen, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen, anstatt ein festes Angebot zu installieren und solange zu suchen, bis sich jemand findet, der dazu passt. Ich wollte das, was ich im Startup-Bereich gemacht und was ich hinsichtlich Digitalisierung und Plattformen gelernt habe, auf soziale Probleme übertragen, um damit den Menschen, die auf der Flucht sind, zu helfen, eine Lösung für ihre individuelle Situation zu finden.

Online-Redaktion: Was und wie kann man bei Kiron studieren?

Zimmer: Bei Kiron kann man Politikwissenschaften, Soziale Arbeit, Informatik, BWL und Maschinenbau studieren. Die Fächer sind sehr MINT-lastig, da sie sich digital gut abbilden lassen. Das Online-Studium umfasst die Studienvorbereitungs- und Studieneingangsphase. In der Zeit können die Studierenden zudem ihre Zeugnisse übersetzen und anerkennen lassen sowie die deutsche Sprache ausreichend lernen. Mit Abschluss der Online-Phase können sich die Studierenden dann an einer unserer Partnerhochschulen bewerben, um ihr Studium fortzuführen und dann auch ihren Abschluss machen. Ein Teil der Credits, die sie über Kiron erworben haben, kann von den Hochschulen anerkannt werden.

Online-Redaktion: Wie haben Sie die Universitäten von Ihrem Vorhaben überzeugt?

Zimmer: Natürlich kamen viele Fragen, was die Qualität und die Anrechenbarkeit der Kurse angeht, aber die Idee wurde insgesamt gut aufgenommen. Sie spricht ein Problem an, das alle Hochschulen erfasst haben, für das sie selber oftmals kein Angebot formulieren können. Zugleich wissen sie, dass es Verschwendung ist, wenn diese jungen Leute ihre Potenziale nicht entfalten können.

Online-Redaktion: In welcher Form können die Studierenden auf Ihre Kurse zugreifen?

Zimmer: Die Kurse sind als MOOCs konzipiert und werden von den Studierenden weltweit wahrgenommen. Zusätzlich zu diesen Online-Kursen bieten wir Live-Tutorials an. Freiwillige wie Doktoranden oder Postdocs wiederholen die Kursinhalte in kleinen Online-Gruppen von zehn, zwanzig Studierenden, damit diese ihr Wissen vertiefen können. Wir regen die Studierenden auch dazu an, Lerngruppen zu bilden, damit sie einen direkten Austausch haben.

Vereinzelt gibt es auch Präsenz-Angebote von Universitäten in Form von Workshops, Konferenzen oder Summer Schools. Diese kurzen Treffen sind ungemein wichtig für das Lernen. Wir sind davon überzeugt, dass das digitale Lernen für viele eine temporäre Lösung ist. Für einige Studierende ist das digitale Format, in dem man sich stark selbst organisieren muss, zunächst eine Herausforderung. Wir kombinieren deshalb Offline- und Online-Elemente und raten den Studenten auch, sofern alle Voraussetzungen erfüllt sind, so früh wie möglich an eine Partnerhochschule zu wechseln.

Online-Redaktion: Wie unterstützen Sie die Studierenden während der Online-Phase?

Zimmer: Wir haben schnell gemerkt, dass die Erfolgschancen gering sind, wenn die Grundbedingungen nicht stimmen. Es geht nicht nur um den Zugang zu Bildung, sondern auch um Betreuung. Wir haben deshalb Mentoring-Programme aufgesetzt, die dazu beitragen, dass unsere Studierenden möglichst viel Kontakt mit der realen Welt bekommen. Auch der Kontakt zu Mitstudierenden oder Studierenden der Partneruniversitäten ist wichtig, die ihnen den Campus zeigen oder dabei helfen, eine WG zu finden. Das hat großen Einfluss.

Online-Redaktion: Was lernen die Teilnehmenden in den so genannten „prep courses“?

Zimmer: In den „prep courses“ werden die Teilnehmenden an das Studium herangeführt. Einerseits können sie hier ihre mathematischen Grundkenntnisse aufbessern, andererseits lernen sie akademisches Schreiben, kritisches Denken, Zitieren etc. In vielen Ländern weichen die vermittelten Kompetenzen im Studium stark von denen ab, um an einer deutschen Universität zu bestehen. Deshalb gewöhnen wir sie vorab an Grundlagentechniken, bauen kulturelle Hürden ab und zeigen ihnen, wie man online studiert. Hierzu greifen wir auf Materialien zurück, die es im Schulbereich gibt oder die als OER (Open Educational Resources) zur Verfügung stehen, einige Unterlagen haben wir auch selbst entwickelt.

Online-Redaktion: Sind alle Materialien der Online-Phase OER?

Zimmer: Teils, teils. Häufig ist das Material frei verfügbar, Prüfungsformate allerdings nicht. Wir haben mit amerikanischen Anbietern wie Edx und Coursera, die Bezahlmodelle für Content anbieten, spezielle Abmachungen getroffen, durch die wir den Content sowie die Prüfungen und Zertifikate für einen geringen Preis bekommen. So können wir es für die Studierenden kostenfrei zur Verfügung stellen.

Online-Redaktion: Wie viele Studierende schaffen den Sprung auf eine Universität?

Zimmer: Es ist noch ein bisschen zu früh, das zu sagen. Wir haben erst vor zwei Jahren begonnen, die ersten gehen jetzt gerade an eine Hochschule. In diesem Durchgang waren es 30. Einige Studierende haben allerdings im Sommer die Bewerbungsfrist an den Hochschulen verpasst, weil sie dachten, dass wir sie noch einmal explizit darauf hinweisen. Wir waren aber davon ausgegangen, dass wir ihnen genügend Informationen bereitgestellt hatten, mit denen sie sich selbstständig bewerben können. Aber daraus lernen wir und werden den Übergang in Zukunft aktiver begleiten. Wir bauen jetzt unsere Plattform so um, dass die Studierenden alle Unterlagen dort vorbereitet hochladen können und haben außerdem ein sogenanntes Transferteam für die individuelle Betreuung der Studierenden eingerichtet.

Online-Redaktion:
Wie wird Kiron finanziert?

Zimmer: Knapp die Hälfte des Budgets erhalten wir über Aufträge und Projekte von Regierungsstellen, wie dem Bundesministerium für Bildung und Forschung. 30 Prozent kommen von Unternehmen, die sich für die Integration von Geflüchteten engagieren möchten oder Interesse daran haben, die Geflüchteten später bei sich anzustellen bzw. gezielt in Projekte einzubinden. Ein weiterer Teil der Finanzierung kommt von Stiftungen, wie die Schöpflin Stiftung.

Online-Redaktion: Wie viele Interessenten bewerben sich bei Kiron?

Zimmer: Wir erhalten immer noch viele Bewerbungen und nehmen in regelmäßigen Abständen neue Studierende auf. Aktuell haben rund 300 neue Bewerber den Zugang zum Onboarding erhalten. Wir können uns also nicht beklagen, das Interesse ist da. Wir haben kürzlich ein neues Outreach Video herausgegeben, das wir mit unserem Partner Syrean Researches erstellt haben, um Studenten anzuwerben. Das haben an einem Tag knapp 100.000 Leute gesehen und geteilt.

Andererseits hören Studierende auch wieder auf. Wir haben zurzeit 3.000 Studenten, die Zugang zu unserer Plattform haben, einige haben in den vergangenen zwei Jahren aus den unterschiedlichsten Gründen das Programm auch wieder verlassen. Wir können ihre Wege nicht immer lückenlos zurückverfolgen. Einige haben einen Job angenommen, andere sind an eine Uni gegangen, die keine Partneruni von uns ist, bei wieder anderen wissen wir nicht, was aus ihnen geworden ist.

Online-Redaktion: Welche Pläne haben Sie mit Kiron für die Zukunft?

Zimmer:
Unsere Strategie entlang der Bildungskette sieht in etwa so aus, dass wir erst einmal den laufenden Prozess und den Transfer an die Partneruniversitäten gut bewältigen wollen. Darüber hinaus wäre ein nächster denkbarer Schritt, die Studierenden auch an den Hochschulen weiterhin zu unterstützen und ihnen bei der Graduierung zu helfen. Ziel sollte es sein, ihnen das nötige Werkzeug zu geben, damit sie sich in den Arbeitsmarkt integrieren und sie auf eigenen Beinen stehen.

Außerdem wollen wir Kiron in den nächsten zwei Jahren ausbauen und schrittweise geographisch ausweiten. Kiron ist ja nicht nur in Deutschland aktiv, es gibt aktuell auch Büros in Frankreich und Jordanien. Wir wollen ein globales Problem lösen. Meine Vision hinter Kiron ist, dass wir, egal wo eine Flüchtlingskrise auf der Welt passiert, für den Teil, der das Potenzial hat, eine Hochschulbildung aufzunehmen oder fortzusetzen, eine Unterstützung anbieten können.


Vincent Zimmer ist einer der Gründer von Kiron Open Higher Education. Er absolvierte erfolgreich die Masterstudiengänge „International Economics” an der Georg-August-Universität Göttingen und „Public Policy and Administration“ an der London School of Economics. Zimmer weist bereits eine große Erfahrung im Startup-Bereich auf und war an verschiedenen Gründungen beteiligt. Darüber hinaus arbeitete er in der Beratung (Rambøll Management Consulting) und setzte sich im Rahmen seiner Tätigkeit bei „Study Without Borders” für Studierende in Krisensituationen ein. Seine Erfahrungen im Flüchtlingsbereich und ein Forschungsaufenthalt in Istanbul bewegten ihn 2015 dazu, Kiron zu gründen. Zimmer leitet aktuell den Bereich Business Development.

 

 

Autor(in): Petra Schraml
Kontakt zur Redaktion
Datum: 21.12.2017
© Innovationsportal

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